Real Life
Die Applikation läuft auch nach drei Tagen noch zu langsam. Der Kunde schreibt mir und fordert eine Lösung. Mein Team findet diese nicht. Weitere drei Tage später die Eskalation, die Applikation läuft gar nicht mehr, der CEO kontaktiert mich. Weitere drei Tage später: obwohl weitere Entwickler involviert wurden, ist kein Fortschritt da. Der Kunde arbeitet auf Papier. Ich kommuniziere seit Tagen: «Wir arbeiten dran, haben aber noch keine Lösung.»
Szenenwechsel: Ich erhalte ein neues Projekt zugewiesen. Ferien verzögern den Start, einige Wochen später ändern sich die Rahmenbedingungen. Dann verzögern fehlende Ressourcen das Projekt, Annahmen aus dem Angebot treffen nicht zu, neue Schnittstellen kommen dazu und Abhängigkeiten zu Drittherstellern. Software ist noch keine geschrieben. Obwohl der Kunde bei allen Entscheiden mit-involviert war, steht immer mehr die Erwartung im Raum: ich will für mein investiertes Geld Software sehen. Ich kommuniziere seit Wochen: «Wir sind noch nicht so weit.»
Beide Situationen fühlen sich an wie ein Dampfkochtopf, in dem der Druck steigt und damit auch die Gefahr einer Explosion. Als Projektleiter bin ich dem Druck immer direkt ausgeliefert, aber kann in meiner Rolle selten durch Arbeitsergebnisse oder Lieferobjekte dazu beitragen, dass sich die Situation entspannt. Ich bin dafür auf mein Projektteam angewiesen, eine Lösung zu finden. Oft kommen noch erschwerend Abwesenheiten im Team dazu aufgrund von Ferien, Krankheit, Ausbildung, Konferenzen, Teilzeit, parallele Projekte etc. – die Liste ist lang. Ich sehe zwei Varianten, wie ich als Projektleiter damit umgehen kann:
Variante A: Druck aushalten
Ich bleibe das Gesicht gegenüber dem Kunden und diskutiere auch unbequeme Tatsachen transparent, offen und sachlich. Ich stehe vor den Kunden hin und bin Puffer bei Ärger und Enttäuschung. Meinem Team halte ich durch geeignete Massnahmen den Rücken frei, damit Sie die nötige Ruhe, Zeit und Musse finden für die notwendigen Arbeiten. Ich fordere keine Überzeit, Ferienverschiebung oder Wochenendarbeit, sondern ermutige zu ausgeglichener Work-Life Balance – gerade in Anbetracht der Umstände.
Variante B: Druck weitergeben
Ich vermeide Kundenkontakt, lasse mein Team direkt kommunizieren, leite E-Mails weiter, damit sie die schlechte Stimmung des Kunden ungefiltert spüren und hören. Ich lasse mein Team, die Teamleads und das Management wissen, wie schlimm die aktuelle Situation ist, um den Druck auf mein Team von allen Seiten zu erhöhen und Leistung einzufordern. Ich fordere Überzeit, Wochenendarbeit und eine Verschiebung der Ferien.
Einer der ersten Projektleiter, den ich im Laufe meiner Karriere kennengelernt habe, hat Variante B gewählt, um 17:00 seine schwarze Lederjacke angezogen, mir als Software-Entwickler eine Liste mit Features hingelegt, die bis zum nächsten Arbeitstag zu erledigen sind, und dann Feierabend gemacht.
Der Schlüssel
Ich persönlich glaube, dass nur Variante A funktioniert. Kurzfristig für die aktuelle Situation, mittelfristig für den Projekterfolg und langfristig für die Mitarbeiterzufriedenheit. Als Projektleiter werde ich dafür bezahlt, in unruhigen und unsicheren Situationen Ruhe und Vertrauen auszustrahlen, den Druck auszuhalten und für alle um mich herum der Fels in der Brandung zu sein. Das gelingt mir aber nur dann, wenn ich ein Team hinter mir weiss, dem ich vertrauen kann und mich darauf verlassen kann, dass sie mich – als Teil des Teams – nicht im Stich lassen. Und zwar nicht, weil ich Druck aufbaue, sondern weil wir ‹Team leben›, füreinander und miteinander unterwegs sind.
Wie gehst du mit Druck um?
Kommentare
Reto
AuthorGanz spannendes Thema.
Ich bin bei dir, Variante A ist klar zu bevorzugen.
Doch, ganz wichtig: Wie viel Druck kannst du aushalten? Wo kannst du selbst den Druck wieder ablassen? Selbst mit jahrelanger Erfahrung und auch wenn wir dafür bezahlt werden, wird uns nicht in jeder Situation das Optimale gelingen.
Und gibt es nicht auch Situationen, in den Involvieren des Managements und das Sichtbarmachen der Probleme ein Schritt zur Lösung sind? – Klar, manche Massnahmen müssen vor- oder nachgelagert erfolgen und nicht in der Hitze des Gefechts.
Freue mich auf weitere Beiträge 😊
Michael Lutz
AuthorIch gebe dir recht. Und du entlarvt damit eine Schwäche von mir: ich tendiere dazu, zu lange zuzuwarten und auszuhalten. Der richtige Moment zu eskalieren und Hilfe zu holen sehe ich wie du als Key. Auch bei einer Eskalation gibt es dann wieder Variante A Panik oder B Sachlich 😉